Waldviertel | Führungen | 29. Januar 2019 | Lesezeit: 10 Minuten

Wo die Fäden zusammenlaufen

Eine große Portion Idealismus reicht manchmal aus, um gewisse Dinge am Laufen zu halten. Wie die Maschinen der ältesten Frottierweberei Österreichs, Wirtex.

Wiedergeburt einer Manufaktur

Rudolf Strobl hat in seinem Leben als Unternehmer schon einige Herausforderungen gemeistert und ist stets auf der Suche nach neuen. So traute er eines Morgens seinen Augen kaum, als er bei Kaffee und Frühstück über der regionalen Tageszeitung brütete und von dem Konkurs der ältesten Frottierweberei Österreichs Wirtex im Waldviertel las. Er war mit seinem Unternehmen im Maschinenbereich ebendort Kunde und wollte nicht glauben, dass deren Maschinen von nun an für immer stillstehen sollten. Sie taten es letztlich nicht. Dank ihm. Kurzerhand rief er den Masseverwalter an, stellte ein Angebot, kaufte das Unternehmen aus der Konkursmasse heraus, gründete eine GmbH, stellte binnen 14 Tagen ein neues Konzept auf die Beine und ließ die zahlreichen Rädchen des Betriebes mithilfe von 15 Mitarbeitern schnellstmöglich wieder anlaufen.

„Man muss manchmal ein bisschen verrückt sein. Und den Mut haben, aus Nichts wieder etwas zu machen. Das ist mir und meiner Frau gelungen“

„Die Firma durfte nicht zu lange stillstehen, die bestehenden Kunden mussten wir halten, nicht an den Nahostmarkt verlieren, die Konkurrenz war und ist immens“

Rückblickend schmunzelt er: „Man muss manchmal ein bisschen verrückt sein. Und den Mut haben, aus Nichts wieder etwas zu machen. Das ist mir und meiner Frau gelungen.“ Gemeinsam haben sie den traditionsreichen Betrieb modifiziert, umgestaltet, andere Wege gesucht und vom Qualitätsmanagement angefangen, über Maschinentechnik, Verkauf und Finanzen alles neu aufgestellt. Obwohl beide keinen blassen Schimmer von der Textilbranche hatten, wie sie sagen. „Im Nachhinein gesehen war das gut, so konnten wir unvoreingenommen, ohne Scheuklappen, dafür mit einem neutralen Blick von vorne beginnen.“ Denn jeder Tag zählte: „Die Firma durfte nicht zu lange stillstehen, die bestehenden Kunden mussten wir halten, nicht an den Nahostmarkt verlieren, die Konkurrenz war und ist immens.“ Daher wurde in Rekordzeit an dem gearbeitet, wofür andere wohl vorab ein dreijähriges Studium absolvieren.

"Slow Weben"

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Keine schnelle Billigware

Seit 1863 gibt es die Waldviertler Frottierweberei Wirtex im kleinen Ort Frühwärts. „Einst hatten wir über 300 Webereien, heute zählt man in ganz Österreich gerademal eine Handvoll. Das Know-How ist vorhanden, das wollen wir nutzen“, ist Rudolf Strobl von seinem Weg überzeugt, den Firmenstandort keinesfalls zu verlagern. Was ihm und seiner Frau an Fachwissen fehlt, das erfahren sie von ihren Mitarbeitern: „Wir sind uns nicht zu schade, um zu unseren Angestellten zu gehen und darum zu bitten, ob sie uns die Zusammenhänge erklären. Einer hilft dem anderen.“ Was daraus entsteht, sind feinste Frottierwaren. Bademäntel, Hand-, Dusch- und Badetücher, Massagehandschuhe und mehr. Jeweils mit dem Blick auf das Besondere, Qualität steht vor Quantität. „Unsere Produkte werden langsam und schonend gewebt. Statt 800 Schlagtouren arbeitet der Webstuhl mit lediglich 200. Wir möchten die Qualität von früher wieder hochleben lassen.“ Daher holte Rudolf Strobl auch das alte Grubentuch wieder hervor und nahm es in seinem Sortiment auf. Dieser Retro-Klassiker kommt ursprünglich aus dem Bergbau, ist für sein stark saugfähiges Frottiergewebe sowie der dunkleren Farbe bekannt und wird in der Gastronomie sowie in Privathaushalten genutzt.

Ein spontaner Kaufentscheid am Morgen

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Offen für neue Wege

Mit neuen Rohstoffen wird, sofern in den notwendigen Mengen vorhanden, experimentiert: Bademäntel werden beispielsweise aus Bambusfasern gefertigt. „Weil diese viermal saugfähiger sind, zudem ein Naturprodukt darstellen, nachwachsen, keine Pestizide brauchen und sehr weich sind.“ Velourtücher werden ebenfalls produziert, weil nur diese bedruckbar sind. Aus dem rauen Material reinen Leinens entstehen Massagehandschuhe und speziell ist die Herstellung sogenannter Zwirntücher, wie Monika Strobl erklärt: „Dabei wird zuerst der Faden gefärbt, welcher auch etwas fester verdreht ist, wie es von den Handtüchern der Großmutter bekannt ist. Es ist ein griffiges Tuch, das hält, was es verspricht und anders gearbeitet ist, als die bekannten Walktücher.“ Bewährte und neue Materialien werden somit zu feinen Geweben verarbeitet, mit speziellen Einwebungen und Stickereien veredelt.

"Wir möchten die Qualität von früher wieder hochleben lassen“

Einblicke in die Weberei

Ob Retro-Trends oder neue Mischungen, neben der hochwertigen Produkte sind es vor allem Ehrlichkeit und Respekt, die den Betrieb auszeichnen. Man arbeitet ressourcenschonend, nachhaltig, in Bio-Qualität mit Fingerspitzengefühl und Präzision. Wer im Detail erfahren möchte, wie die einzelnen Arbeitsschritte vom Zwirn bis zum fertigen Tuch im Waldviertel aussehen, der kann an Live-Führungen durch den Betrieb teilnehmen. „Schritt für Schritt nehmen wir die Besucher mit auf eine Reise durch die Welt der Fäden und zeigen anschaulich, wo und wie diese letztlich alle zusammenlaufen. Von der Baumwollproduktion bis hin zum weichen Badetuch. Die Türen stehen bei uns jederzeit offen.“

Wirtex produziert seit mehr als 150 Jahren Frottierware und hat sich von einem alten Bauernhaus zu einer gut ausgestatteten Produktionsstätte entwickelt.

Ausflugsziel der Niederösterreich Card

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